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Familienrechtliche "Revolution": Ein Kind, drei Eltern?

Nach einem emotionsgeladenen Familienstreit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einem Urteil jüngst Klarheit verschaffen: Ein biologischer Vater eines Kindes darf künftig auch rechtlicher Vater seines Kindes werden. Doch bis zur Gesetzesänderung müssen sich leibliche Väter zunächst bis zum 30.Juni 2025 gedulden.


Sachverhalt

Die Entscheidung ist auf folgendem Sachverhalt zurückzuführen:

Der Beschwerdeführer ging gerichtlich gegen seine Kindesmutter vor, nach dem diese nach der Trennung sowohl den Umgang mit dem Sohn verbot als auch die Anerkennung der rechtlichen Vaterschaft zu verhindern versuchte, indem diese nicht zu vereinbarten Terminen des Standesamts etc. erschien. Für den biologischen Vater war klar, dass dieser ohne rechtliche Anerkenntnis der Vaterschaft kein Mitspracherecht geschweige denn ein Sorgerecht über sein Kind hat. Während die Kindesmutter weiterhin Termine verstreichen ließ, lernte sie zwischenzeitlich einen anderen Mann kennen, der in die Rechtsstellung als rechtlicher Vater eingerückt wurde.

Der biologische Vater ging sodann gerichtlich gegen die Vaterschaft des anderen Mannes vor und fochte diese an.


Gerichtsentscheidung des OLG

Das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) billigte in der ersten Instanz mit Beschluss vom 05.08.2021 (AZ: 8 UF 95/21) dem biologischen Vater kein Vaterschaftsanfechtungsrecht gem. § 1600 Abs. 2 und 3 BGB zu. Nach dem Wortlaut des § 1600 Abs. 3 BGB steht leiblichen Väter erst dann ein Vaterschaftsanfechtungsrecht zu, wenn "im maßgeblichen Zeitpunkt", keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater besteht. Zweck dieser Vorschrift ist die Wahrung des Familienfriedens. Problematisch erscheint vom Wortlaut her der "maßgebliche Zeitpunkt", welcher vom Gesetzgeber nicht näher beschrieben wurde, aber auch die Frage, inwieweit die Beziehung der Kindesmutter zum neuen Partner ausgestaltet sein muss, um diesen einen Rechtsanspruch zur Vaterschaft zu ermöglichen.

Im vorliegenden Fall hat das OLG zum Nachteil des leiblichen Vaters auf den spätesten Zeitpunkt, und zwar auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Anfechtungsverfahrens, an dem schon eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem neuen Partner bestand, abgestellt. Aufgrund dessen sei für den leiblichen Vater die Anfechtung gesperrt.

Mit seiner Entscheidung trug das OLG jedoch vor, dass der leibliche Vater gar keine Möglichkeit hatte, eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, aber dies aufgrund der gesetzlichen Regelung nicht berücksichtigt werden kann.


Entscheidung des BVerfG

Daraufhin reichte der leibliche Vater eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG ein, mit der er eine Verletzung seines Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG gerügt hat. Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde mit Urteil vom 09.04.2024 (AZ: 1 BvR 2017/21) statt mit der Begründung, dass die maßgeblichen Vorschriften der § 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 S. 1 BGB den Anforderungen an das Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung tragen und auch dieses beeinträchtigt, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

Die vom Beschwerdeführer angegriffene Vorschrift beeinträchtige leibliche Väter vor allem deshalb unangemessen, weil jegliche Bemühungen um die Anerkennung der Vaterschaft, als auch frühere sozial-familiäre Beziehungen komplett außer Acht gelassen würden, so das BVerfG.

Demzufolge bedarf das Elterngrundrecht einer neuen Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.

Abweichend vom bisherigen Recht im BGB soll es die Möglichkeit geben, die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorzusehen. Sollte der Gesetzgeber jedoch weiterhin die rechtliche Elternschaft auf zwei Elternteile beibehalten wollen, solle dieser das Gesetz zugunsten des leiblichen Vaters ausgestaltet werden, da dieser ansonsten keinerlei rechtliche Möglichkeiten hat, die rechtliche Vaterschaft in Anspruch zu nehmen.

Das BVerfG führt weiterhin aus, dass der Gesetzgeber zu berücksichtigen habe, dass die Übernahme von Verantwortung gegenüber dem Kind entscheidend sei:

"Es umfasst nicht allein Rechte im Verhältnis zum und im Umgang mit dem Kind, wie etwa das Sorgerecht, sondern schließt die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes ein. Zu dieser gehört neben der Verantwortlichkeit für das physische, psychische und wirtschaftliche Wohl des Kindes auch, dafür zu sorgen, dass sich das Kind in Ausübung seines eigenen Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs.1 GG zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann."

Sobald das Elterngrundrecht Elternverantwortung beinhaltet, müssen Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, auch die Möglichkeit bekommen, diese auch erhalten und ausüben zu können.


Bedeutung der Entscheidung des BVerfG

Das BVerG hat mit seiner jüngsten Entscheidung das in 2003 gefällte Urteil, in der es noch die rechtliche Elternschaft auf zwei Elternteile beschränkt, gekippt. Der Erste Senat entschied dies unter dem Gesichtspunkt, dass die Merkmale, die das Elterngrundrecht prägen, nicht zwingend auf zwei Elternteile beschränkt ist.

Das BVerfG befindet aktuell: "Anders als in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angenommen sind jedenfalls leibliche Väter, deren Elternschaft im verfassungsrechtlichen Sinne aus der genetischen Verbindung mit dem Kind aufgrund natürlichen Zeugungsakts mit dessen Mutter folgt, im Ausgangspunkt Träger des Elterngrundrechts und können sich auf die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG stützen."


Stellungnahme des Bundesjustizministeriums

Unabhängig vom Karlsruher Verfahren hatte das Bundesjustizministerium zuvor angekündigt, im Rahmen einer bevorstehenden Reform des Abstammungsrechts die Rechtstellung leiblicher Väter stärken zu wollen.

Im Vorfeld wurde zunächst auf einem Eckpunktepapier festgelegt. dass ein anhängiges Verfahren auf Vaterschaftsfeststellung künftig Sperrwirkung entfalten soll. Dies bedeutet, dass erst mit Abschluss des Verfahrens auf Vaterschaftsfeststellung des leiblichen Vaters bzw. vermeintlichen Vaters, ein weiterer Mann die Möglichkeit zur Anerkennung der Vaterschaft des Kindes haben darf.

Vorab solle das Gericht jedoch künftig im Einzelfall zwischen dem Interesse an der Anfechtung der Vaterschaft und dem Interesse an dem Fortbestand der bisherigen Vaterschaft abwägen. Im Zweifel solle jedoch der Bestand der schon bestehenden Vater-Kind-Beziehung Vorrang haben.

Das Bundesjustizministerium teilte jedoch vorab mit, dass sie weiterhin an dem "Zwei-Eltern-Prinzip" festhalten werden.


Fazit:

Das BVerfG hat den ersten großen Meilenstein gesetzt für die Stärkung der Rechte leiblicher Väter. Nunmehr ist allerdings zunächst der Gesetzgeber daran, das Gesetz neu zu schaffen, dass es nicht mehr gegen die Grundrechte leiblicher Väter verstößt. In der Zwischenzeit befinden sich leibliche Väter mit ähnlichen Situationen in einem rechtlichen Graubereich. Sie können nach wie vor nicht sicher davon ausgehen, dass ihnen entsprechende Rechte gewährt werden, solange ihr Sachverhalt nicht identisch ist mit dem, mit dem sich das oberste Gericht beschäftigt hat.



Bickenbach, den 14.05.2024

Mitgeteilt von
WissMit Rebia Nayir
Dingeldein • Rechtsanwälte

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