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Recht des Arbeitnehmers auf Nichterreichbarkeit in seiner Freizeit

Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte das Landesarbeitsgericht in Schleswig-Holstein 2022 entschieden, dass Arbeitnehmer nicht verpflichtet seien, dienstliche Anrufe in der Freizeit entgegenzunehmen oder SMS bzw. E-Mails zu lesen (LAG Schleswig-Holstein, 27.09.22, Az. 1 Sa 39öD/22). Diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht in seiner jüngsten Entscheidung vom 23.08.2023 gekippt (BAG 23.08.2023, Az. 5 AZR 349/22).

Nach der jüngsten Entscheidung des BAG ist nicht jeder Beschäftigte komplett frei davon, auch während der Freizeit Weisungen seines Arbeitgebers entgegennehmen zu müssen. Sofern Arbeitnehmer sich in einem Arbeitsverhältnis befinden, auf das Betriebsvereinbarungen Anwendung finden, können diese bestimmen, dass der Blick auf's Handy auch nach Feierabend Pflicht sein kann.


Sachverhalt

Die Entscheidung des BAG beruht auf folgenden Sachverhalt:

Ein Notfallsanitäter und sein Arbeitgeber stritten sich um die Frage, ob der Sanitäter in seiner Freizeit auf Dienstplanänderungen für den nächsten Tag reagieren musste. Der Sanitäter war mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden inklusive Bereitschaftsdienst angestellt. Durch eine Betriebsvereinbarung wurde zusätzlich Arbeitszeitgrundsätze geregelt, welche die Sanitäter zu sogenannten Springerdiensten verpflichteten. Der Arbeitgeber darf die Arbeitnehmer bis spätestens 20 Uhr am Vortag informieren, wann dieser zu den Springerdiensten antreten müsse.

Auf dieser Grundlage hat der Arbeitgeber versucht den Notfallsanitäter zwecks der Einteilung zum Springerdienste zu erreichen, jedoch vergeblich. Der Arbeitgeber beurteilte dieses Verhalten, als unentschuldigtes Fehlen und mahnte den Notfallsanitäter nach einem wiederholten Vorfall ab.

Der Notfallsanitäter klagte sodann gegen den Arbeitgeber und forderte die Entfernung der zwei Abmahnungen aus der Personalakte und machte die Nachzahlung des vorenthaltenen Lohns geltend.


Entscheidung und Begründung des BAG:

Das Landesarbeitsgericht in Schleswig-Holstein gab dem Notfallsanitäter recht. Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch zugunsten des Arbeitgebers.

Der Arbeitgeber müsse weder die vom Notfallsanitäter abgezogenen Arbeitsstunden nachzahlen noch die Abmahnungen aus der Personalakte entfernen. Dies begründete das Gericht damit, dass der Arbeitnehmer eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht habe, mögliche Weisungen seines Arbeitgebers zum Dienstplan bzw. zu Dienstplanänderungen des folgenden Tages auch während seiner Freizeit zu lesen. Zudem müsse er diese auch im Zweifel auch auf seinem privaten Mobiltelefon zur Kenntnis nehmen.

Die Pflicht des Notfallsanitäters ergab sich durch die Betriebsvereinbarung. Die Betriebsvereinbarung ermöglichte den Arbeitgeber, sein Direktionsrecht auch außerhalb der Arbeitszeit auszuüben, was wiederum dazu geführt hat, dass dem Notfallsanitäter eine Nebenpflicht entstanden ist. Konkret wurden Betriebsvereinbarungen zum Bestandteil eines jeden Arbeitsvertrages, nach denen die Geschäftsführung die Arbeitszeit für den darauffolgenden Tag festlegen kann. So war jeder Mitarbeiter dazu verpflichtet, eine solche mitgeteilte Weisung auch in der Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.


Fazit

Aus der jüngsten Entscheidung des BAG geht hervor, dass Arbeitnehmer sich nicht mehr allgemein auf deren Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit berufen können. Es kommt somit auf den Einzelfall an, ob eine entsprechende Vereinbarung hierzu vorliegt oder nicht.



Bickenbach, den 18.06.2024

Mitgeteilt von
WissMit Rebia Nayir
Dingeldein • Rechtsanwälte

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